Habent sua fata libelli

Buchskulptur und Rede des Verlegers
(Vernissage im Literaturhaus Berlin, 19. Juni 2007)

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Der Roman HARTHAUS von Nikolaus Wegener, erschienen im FORKELHIRSCH Verlag, wurde in Form der interaktiven Buchskulptur 1000 BÜCHER HARTHAUS im Literaturhaus Berlin ausgestellt, vorgelesen und verkauft, ab dem 19. Juni vier Wochen lang an je sechs Tagen mit abendlicher Lesung. Es trugen vor: der Autor und Freunde.
1000 BÜCHER HARTHAUS ist ein Crossover von Literatur und bildender Kunst. Ausgestellt wird ein Quader bestehend aus tausend weiß verpackten Büchern. Weiß steht für ihre Jungfräulichkeit. Der Besucher nimmt teil an der weiteren Gestaltung der Plastik. Mit Bezahlung des Eintrittsgeldes erwirbt er ein Buch und darf bestimmen, wo sein Exemplar entnommen wird. Dadurch erodiert der Bücherblock, zerfällt nach und nach und verschwindet zum Ende der Installation hin völlig. Am Anfang ist die Skulptur fertig, am Ende unfertig. Ihre Zeit ist bemessen. Jede Veränderung wird von einer Kamera erfasst und findet sich dann auf der Website wieder. Auch über das Internet kann ein Buch-Baustein erworben und damit Einfluss auf die Skulptur genommen werden.

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Rede des Verlegers oder Ein kleiner Exkurs über das Scheitern
(anlässlich der Vernissage im Literaturhaus Berlin, 19. Juni 2007)

Ein Würfel, ein Meter mal ein Meter mal ein Meter, weiß, bestehend aus Tausend Stücken. Jedes Stück ist ein Buch. Das erste Buch eines Autors. Weiß. Das erste Produkt eines neuen Verlages. Wer kauft, verändert, hat die Wahl, welches Exemplar er aus dem Quader lösen will. So nimmt die Skulptur ab und wird gestaltet. Bis alles zusammenfällt, sich auf dem Boden ausbreitet, von der Geometrie übergeht in chaotische, zufällige, biologische Formen. Der Kubus löst sich in seine Bestandteile auf. Käufer tragen sie davon. Käufer in fernen Städten bestellen und können zusehen, wie ihr Exemplar herausgelöst wird aus dem Würfel, wie andere dadurch zu Boden stürzen, jeder trägt durch seine Wahl dazu bei, wie die Skulptur sich entwickelt. So geht das Spiel. Ordnungsliebende gegen Chaoten, bis am Ende, so hoffe ich, in der absoluten Leere Chaos und Ordnung zusammenfallen. Dann wäre hier aufgeräumt, alle Stücke entfernt, die Putzfrauen könnten kommen.

Das sind strenge Konzepte. Werden wir persönlicher. (Es ist mir nicht an der Wiege gesungen worden, dass ich einmal Verleger sein würde.) Kennst Du die alten Bob-Dylan-Verse, Wegener: There is no success like failure, and failure is no success at all? Verstehst Du sie? Dein erstes Buch. Mein erster Verlag. Was für ein Triumph! Was wollen wir? Ruhm? Geld? Unsterblichkeit? Wenn man jung ist, glaubt man, das alles stünde einem zu. Und Du willst es nun erreichen mit einem Roman, der gerade das alles in Frage stellt. Warum? Warum quälst Du mich seit Jahren wie ein quengelndes Kind mit Deinen unsinnigen Träumen von Geld und Bedeutung? Du bist nicht mehr jung, gib dem Leben doch nach, lass Dich treiben, Dich wegschwemmen von der Strömung der Zeit!

Das sagte ich ihm immer wieder. Endlich aber war ich es, der nachgab, Wegeners Drängen, seinem Betteln und Flehen. Ja, ich tue Dir den Gefallen! Auch wenn es nicht gut ausgehen wird, für keinen von uns beiden. Aber tröste Dich, Wegener, wenn Dich das trösten kann: Wir sind aus demselben Holz geschnitzt. Auch den Verlag, in dem Dein Werk jetzt erscheint, wird es nicht lange geben. Eintagsfliegen wir beide. Doch passt das nicht zum Thema Deines Buches? Hier liest Du im Literaturhaus mit all seiner Pracht und bist doch ein armes Bürschchen, das einen Text vorträgt über ein Armenhaus. Ein ganz armes Würstchen, Wegener, und wirst verschwinden wie Dein Werk, wenn der Monat des Lesens und Verkaufens endet. Tanze, tanze im Gegenlicht, für diesen kurzen Tag, für diesen einen Monat. Ich will es Dir gleichtun, ehe ich die Restexemplare nach Ablauf der vier Wochen in Leinwand einnähen lasse, sie mit Ballast beschwere und auf offener See – nicht weit von Helgoland – dem Meer übergebe. Ein Seemannsbegräbnis, Wegener, (nobel, wie es Dein Werk verdient). Was willst Du mehr?

Aber das Buch! Sieh an! Auch ein armes Würstchen kann ein Werk erschaffen, das einen Zauber hat. Wie viel besser kann ein Buch doch sein als sein Schöpfer! Ein trüber Glanz liegt über Deinem Text, ein Strahlen, eine Aura, das Funkeln und Glänzen geläuterter und immer aufs Neue geläuterter Erbärmlichkeit! Ein Feuerwerk der Einschränkung brennst du vor dem Leser ab. Die Ängste der Mittelschicht vor dem Abstieg, die Rettung der Umwelt durch das Bekenntnis zur Armut, die Erlösung des überforderten Individuums von der Individualität durch Abtrennung überflüssiger, hinderlicher Ich-Bereiche – all diese Saiten schlägt das Buch in der Form des Entwicklungsromanes an. Die Armut, die Reduktion auf Weniges – das ist eine Lupe, ein Brennglas, das die Dinge scharf hervortreten lässt. Der gezackte Blechdeckel einer geöffneten Senatsfleischdose wird überdeutlich, wird zur Vision.

Was ist Harthaus? Eine Utopie der Armut, eine Utopie der Zufriedenheit durch äußerliche Beschränkung? Utopie – das heißt Un-Ort, Nicht-Ort. Was wäre nahe liegender, als dort zur Nicht-Person zu werden? Was wäre schöner, so argumentiert der Text durch seinen Helden, als niemand zu sein? Schön und schwer, so erfahren wir. Die Sehnsucht nach Selbstvergessen aber ist stark. Doch keine Angst, liebe Käufer, es erwartet Sie keine Bußpredigt à la Savonarola, sondern ein spannender, witziger, unheimlicher Roman.

Zurück zu Dir, Wegener. Du weißt: Ein echter Harthäusler schriebe keinen Roman. Würde nie so wie Du mit zitternden Knien hier stehen und sich voller Selbstzweifel dem Geschmack des Publikums unterwerfen, innerlich barmend und bangend, in welche Richtung der Daumen weisen wird, nach außen jedoch den tolldreisten Draufgänger gebend. Ein Insasse von Harthaus, Wegener, ist frei von der Angst, nicht geliebt zu werden – denn das Scheitern liegt hinter ihm.

Ach, Wegener! Gäbe es Harthaus doch nur! Arm in Arm wollten wir dort einmarschieren und nach all unserem Unglück, all unseren Missgeschicken, doch noch glücklich werden!

Jetzt liest Du gleich. Ein Wort von Beckett möchte ich Dir mit auf den Weg geben, aber dafür ist es - wie bei allen Beckettworten – natürlich zu spät. Sein Held Molloy soll unter merkwürdigen Umständen etwas aufschreiben, aber der Mann, der ab und zu kommt, das Gekritzel abzuholen (sein Verleger vielleicht), ist unzufrieden mit ihm. Es heißt dort, ich zitiere "Er hat mir gesagt, dass ich falsch begonnen hätte, dass man anders hätte beginnen müssen. Ich hatte beim Anfang angefangen, stellen Sie sich das vor, wie ein altes Rindvieh." Zu spät, diese Warnung. Was soll ich machen? Wegener beginnt mit dem Anfang.

Wolf Christian Schröder
Berlin, 19. Juni 2007